Hüte- und Hirtenhunde - damals und heute
Hunde der FCI Gruppe 1, also Hüte-, Treib- und Hirtenhunde, seien es Australian Shepherds, Border
Collies, Belgische Schäferhunde oder andere Rassen, erfreuen sich seit Jahren wachsender Beliebtheit -
sowohl im Hundesport als auch als familiärer Begleiter.
Gleichzeitig steigt aber auch ihre Zahl in Hundeschulen und als „Problempatienten“ bei
Hundepsychologen, Verhaltensberatern und Hundetherapeuten sowie ihre Zahl als Tierheiminsassen.
Warum ist das so?
Was macht ihre wachsende Beliebtheit aus?
Und warum gibt es häufig Probleme?
Sind es wirklich die idealen Begleiter oder ein lebender Anachronismus, der nicht mehr in unsere
moderne Zeit passt?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, muss man sich zuerst einmal damit beschäftigen, wofür
diese Hunde ursprünglich gezüchtet wurden und teilweise noch heute genutzt werden.
Anschließend werden wir uns näher anschauen, wie diese Hunde in ihrem ursprünglichen Umfeld als
Arbeitshunde gehalten werden und wie ihr Tagesablauf aussieht.
Hütehunde-Hirtenhunde-Treibhunde
Die ursprüngliche Verwendung
Auch wenn im alltäglichen Sprachgebrauch Hirten- und Hütehunde synonym verwendet werden, ist
es nicht dasselbe.
Hirtenhunde, besser wäre der Begriff Herdenschutzhunde, sind große, kräftige Hunde, wie
beispielsweise der Sarplaninac, der Kuvasz oder Cane de Pastore Maremmano-Abruzzese, deren
ursprüngliche Aufgabe es war und ist, die Tierherden vor zwei- und vierbeinigen Beutegreifern zu
schützen. Die Hunde wachsen als Welpen mit der Tierart, die sie später schützen sollen, auf. Meist
sind dies Schafe, seltener Ziegen. Der Welpe wird im Schafstall geboren und lernt Schafe nicht nur
kennen, sondern wächst mit ihnen zusammen auf. Später ist es seine Aufgabe, zusammen mit
anderen Herdenschutzhunden, die Herde täglich zu begleiten, Tag für Tag, Sommer wie Winter, bei
Wind und Wetter. Seit es in Deutschland wieder vermehrt Wölfe gibt, findet man an einigen Herden wie
früher wieder diese alten Rassen in ihrer ursprünglichen Bestimmung.
Treibhunde hatten früher die Aufgabe, Nutztiere, meist Rinder oder Schafböcke, von A nach B zu
bringen. Oft war der Bestimmungsort das Schlachthaus, und die zu treibenden Tiere nicht etwa
friedliche Milchkühe, sondern wehrhafte Ochsen, Hammel, Stiere oder Böcke. Für diese Arbeit
brauchte man kräftige, körperlich robuste und wehrhafte Hunde, die sich durchsetzen konnten, den
Tritten und Stößen der Tiere auswichen und sie mit Bellen oder gezielten Griffen (Biss in bestimmte
Körperregionen, oft die Fessel) vorwärts trieben, ohne die Nutztiere jedoch unnötig zu stressen, da
diese sonst wertvolles Gewicht ( Kilos waren/sind bares Geld) verlieren würden. Auch heute noch
findet man bei vielen Treibhunden – Australian Shepherds, Australian Cattle Dogs, Westerwälder
Kuhhunden - den sogenannten „heel“, also den Fersenbiss, der genetisch verankert ist.
Ein Schäferhund wiederum hat die Aufgabe, dem Schäfer bei der Arbeit an der Schafherde (seltener
Ziegenherde) zu helfen. Bei den Schäferhunden muss man zwischen dem Herdengebrauchshund und
dem Koppelgebrauchshund unterscheiden, da sich hier nicht nur die Arbeitsweise unterscheidet,
sondern sich auch für die verschiedenen Arbeitsweisen spezialisierte Rassen im Laufe der
Jahrhunderte herausgebildet haben.
Herdengebrauchshunde begleiten die Schafherde auf deren Wanderschaft. Sie pendeln links und
rechts der Herde entlang („geigen“ oder „wehren“ genannt) und achten darauf, dass die Herde beim
Herdenzug nicht zu breit wird und die Herde auf den vorgeschriebenen Wegen bleibt, also
beispielsweise die Getreidefelder links und rechts des Weges ignoriert. Befindet sich die Herde im
Gehüt (weites oder enges Gehüt, das heißt ein sehr großes Gelände, auf dem sie fressen dürfen oder ein
begrenztes Gelände), patroulliert der Herdengebrauchshund entlang der Grenzen und treibt Nascher,
die die Grenze übertreten, zurück. Dafür darf er drei Arten von Griffen (ein Griff ist ein kurzes,
druckvolles Zubeissen, ohne die Tiere zu verletzen) verwendet: den Nacken- Keulen- oder Rippengriff.
Sind die Schafe oder Ziegen in einem unübersichtlichen Dornenwald verteilt, darf er sie auch durch
Bellen zusammentreiben. Ansonsten ist Bellen nicht gerne gesehen, da dies die Schafe erschreckt.
Solche Hunde, „Feldprediger“ genannt, werden ungern zur Herdenarbeit eingesetzt. Typische
Herdengebrauchshunderassen sind die Altdeutschen Hütehunde, die Holländischen Schäferhunde,
die Deutschen Schäferhunde u.v.m.
Koppelgebrauchshunde haben und hatten eine ganz andere Aufgabe. Auf der einen Seite ist hier die
Arbeit im Stall, der Koppel und am Pferch zu nennen. Sowohl beim Entwurmen, beim Scheren oder
beim Füttern müssen Tiere entweder getrieben, oder aber fern gehalten werden. Auf der anderen Seite
müssen Schafe und/oder Ziegen, die oft im weitem, unübersichtlichen Gelände verstreut grasen,
gefunden, zusammengetrieben und an einen anderen Ort gebracht werden. Dafür braucht man Hunde,
die nicht zu groß, dafür aber wendig und feinnervig sind. Sie müssen einerseits sehr selbstständig
denken und arbeiten, andererseits jedoch auf Pfiffe des Schäfers noch in viele Kilometer Entfernung
reagieren. Der Border Collie ist die bekannteste Koppelgebrauchshunderasse.
Eigenschaften
Die Anforderungen von damals bestimmen auch heute noch die Genetik und das Verhalten dieser
Hunde. Und daraus ergeben sich heutzutage oft Probleme, wenn der Hund nicht seinen Anlagen
entsprechend gehalten wird. Um dies zu verdeutlichen, ist es hilfreich, sich den Alltag dieser Hunde in
ihrem ursprünglichen Arbeitsumfeld anzuschauen.
Herdenschutzhunde
Neben ihrer stattlichen Größe war und ist es für einen Herdenschutzhund, der seine Herde beschützt,
wichtig, einerseits eine recht hohe Reizschwelle zu haben, andererseits aber auch ein gewisses
Misstrauen gegenüber allem, was nicht zu „seiner Familie“ gehört und die Bereitschaft, diese
kompromisslos, notfalls mit dem eigenen Leben, zu verteidigen. Ein Herdenschutzhund wird seine
ihm anvertraute Herde bewachen und überwachen. Sieht er einen Eindringling sich nähern, wird er
ihn zuerst mit massivem Verbellen und Drohen zu vertreiben versuchen. Werden diese Warnungen
ignoriert, wird der Herdenschützer deutlicher und setzt als letztes Mittel seine Waffen – die Zähne –
ein.
Zu Unrecht werden Herdenschutzhunde oft als stur bezeichnet. Man muss bedenken, dass diese
Hunde jahrhundertelang darauf selektiert wurden, das Eigentum des Menschen zu schützen und hier
oft auf sich alleine gestellt waren. Hierzu brauchte der Mensch Hunde, die selbstständig handeln
konnten, ohne auf Erlaubnis des Besitzers zu warten, denn oft war dieser gerade nicht bei der Herde
und der Hund bzw die Hunde waren der einzige Schutz der Nutztiere. Ein Hund, der nicht in der Lage
war, seine ihm anvertraute Herde ohne die Einwirkung des Menschen zu bewachen und zu schützen
war nutzlos und wurde von der weiteren Vermehrung ausgenommen.
Hütehunde
Auch Herdengebrauchshunde, also Schäferhunde für Wanderherden, hatten neben ihrer Eigenschaft
als „lebende Grenze“ die Aufgabe, die Herde gegen Diebe – hauptsächlich zweibeinige – zu schützen.
Aus dieser Zeit und dieser Aufgabe resultiert neben einer sehr großen Ausdauer und
Leistungsfähigkeit eine gewisse Verteidigungsbereitschaft, die diesen Rassen und Schlägen eigen ist
und die man nie fördern sollte.
Viele Herdengebrauchshunderassen haben neben einem hohen Bewegungsdrang einen sehr großen
Beutetrieb und einen gewissen Jagdtrieb. „Schafe hüten“ und „Beute jagen“ haben mehr miteinander
gemeinsam, als mancher Hundehalter ahnt. Orten-Anschleichen-fixieren-treiben-einkreisen…..oder
zutreiben….nur das letzte Glied dieser Kette, das Töten, wurde mehr oder weniger erfolgreich weg
selektiert. Allerdings hat die Natur ihre eigenen Regeln und so gibt es auch heute noch einige
Herdengebrauchshunde, die für die Herdenarbeit ungeeignet sind, weil sie den falschen Griff (zB Kehle
statt Genick) haben, zu grob sind, Lämmer tot schütteln statt nur leicht anzustupsen, in die Herde
„stechen“, statt die Grenzen zu wehren oder die Schafe zu jagen beginnen, anstatt sie leicht zu treiben.
Gerade bei Hunden, die an Wanderherden arbeiten, ist es auch nach jahrhundertelanger Selektion
nicht immer einfach, gute Arbeitshunde zu finden. Nicht umsonst gehören Schäferhunde und
schäferhundartige Hunde zu den Hundetypen, die Jäger am meisten fürchten.
Bei den Koppelgebrauchshunden, deren Ursprung in Großbritannien zu finden ist, war eine gewisse
Schärfe unnötig und unerwünscht, da die Wölfe schon seit Jahrhunderten auf den Britischen Inseln
ausgerottet waren. Hier wurden die Hunde darauf selektiert, auf kleinste Pfiffe, Gesten und Fingerzeige
des Schäfers zu reagieren. Damit ging jedoch eine große Sensibilität und Reizempfänglichkeit einher,
die dazu führt, dass Hunde dieser Rasse(n) eine ruhige Umgebung brauchen, da sie zum Überdrehen
neigen und von vielen Reizen förmlich überflutet und überfordert werden. Dennoch gibt es auch hier
Hunde, die Schafe eher jagen würden als gut und schonend zu treiben und zu hüten und wenn manche
Menschen behaupten, Border Collies würden keinen Jagdtrieb haben, so ist und bleibt das ein
Märchen und entspricht nicht den Tatsachen.
Treibhunde
Treibhunde mussten, um ihre Arbeit gut zu machen, mehrere Eigenschaften haben: sie mussten, um
die Nutztiere zu beeindrucken, eine gute und laute Stimme haben und gewillt sein, diese auch
einzusetzen und sie durften sich nicht scheuen, von ihren Zähnen Gebrauch zu machen. Zudem
mussten sie einerseits dem leisesten Fingerzeig des Treibers/Hirten Folge leisten, andererseits aber
auch fähig sein, eigene Entscheidungen zu treffen und diese auch auszuführen. Dies, zusammen mit
einem großen Bewegungsbedürfnis, zeichnet auch heute noch die meisten Treibhunderassen aus. Die
meisten von ihnen können durchaus als verbal äußerst kommunikativ angesehen werden und ihre
Reizempfindlichkeit in Kombination mit einem großen Bewegungsbedürfnis ist der Selektion auf ihr
früheres Betätigungsfeld geschuldet.
Haltung früher-Haltung heute
Obwohl sich die Nutztierzucht im Laufe der letzten Jahrhunderte und Jahrzehnte gewandelt hat, gibt
es noch immer Hunde, die ihrem ursprünglichen Job nachgehen und deren Alltag sich nicht sehr von
dem ihrer Vorfahren unterscheidet.
Zwar sind in Deutschland die großen Rinder- und Schweineherden verschwunden, die von Hunden
und Treibern in die Schlachthäuser oder auf die „Viehmärkte“ zum Verkauf getrieben wurden und
auch auf den Britischen Inseln oder Andernorts übernehmen oft Lastwagen den Transport, so dass die
Treibhunde bei uns ihr Betätigungsfeld verloren haben, für das sie ursprünglich gezüchtet wurden.
Aber es gibt noch immer Wanderschafherden – auch wenn sie durch Bestimmungen, Bürokratie und
andere Dinge inzwischen sehr selten geworden sind – und noch immer gibt es Koppelherden, und
damit auch Herdengebrauchshunde und Koppelgebrauchshunde.
Der Herdengebrauchshund
Seine Lehrzeit beginnt der Herdengebrauchshund - je nach Schäfer und Tradition in diesem Gebiet –
im Alter zwischen einem halben und einem Jahr. Lehrzeit bedeutet allerdings noch keine gezielte
Ausbildung, denn die ersten Wochen und Monate wird der Jungspund zwar ab und zu zur Herde
mitgenommen, wird aber noch nicht eingesetzt. Während die Althunde ihre Arbeit tun, begleitet er den
Schäfer an der Leine bei der Arbeit, lernt so die tägliche Routine kennen und lernt vor allem eins: Ruhe
halten, zuschauen und auch Frust auszuhalten, denn obwohl es den Einen oder Anderen schon zu den
Tieren treibt, wird er noch nicht losgelassen. Abends kommt er – je nach Schäferei – in seinen
Zwinger, an seine Kette oder wo immer er sein Nachtlager hat und wird erst ein, zwei Tage später
wieder mit zur Herde genommen, damit er genug Zeit hat, das Gesehene zu verarbeiten und sich zu
regenerieren und zu entspannen.
Nach mehreren Wochen und Monaten darf der vierbeinige Lehrling bei seinen ersten kurzen
Arbeitseinsätze zeigen, was genetisch in ihm steckt. Manche Hunde zeigen von sich aus das Wehren
in der Furche, anderen Hunden muss der Schäfer es erst beibringen, indem er mit dem Hund an der
Leine immer wieder die Furchen abläuft, hin und her, jeden Tag. Zeigt der Hund dann ein erstes
Wehren, wird dies mit einem Wort, meist „Furche“ belegt. Diese ersten Sequenzen sind jedoch nur kurz
und ausschließlich auf der „Mannseite“, d.h. auf der Seite, an der auch der Schäfer steht und geht. Das
Ablaufen der sogenannten Querfurche lernt der Hund erst später und das selbstständige Wehren der
„Halben“, also der dem Schäfer entgegengesetzten Seite erst sehr viel später. Man sagt, dass ein guter
Hund so viele Jahre ausgebildet wird, wie er Pfoten hat, was bedeutet, dass man erst bei einem etwa
fünfjährigen Hund von einem vollwertigen Arbeitshund sprechen kann, der mehrere Menschen
ersetzen kann.
Mit steigendem Alter, körperlicher und emotionaler Reife und Ausbildungsstand steigt auch die
Arbeitsbelastung eines Hundes. Diese ist zu Zeiten des Herdenzuges besonders hoch. Frühmorgens
wird der Hund bei ersten Kontrollgang des Schäfers mitgenommen. Hier kontrolliert der Schäfer das
Befinden der Herde und schaut nach neugeborenen Lämmern. Nach einem kurzen Frühstück folgt nun
der Austrieb der Herde und der Herdenzug. Da Schafe Wiederkäuer sind, muss sich die Herde
mindestens zweimal – von einer Verdauungspause unterbrochen – satt fressen. Während dieser
ganzen Zeit ist voller Einsatz und hohe Konzentration von Hunden und Schäfer gefordert. Läuft die
Herde 15 Kilometer, legen die Hunde diese Strecke mehrfach zurück, da sie immer in der Furche
pendeln und von der Spitze bis zum Ende die Herde ablaufen, immer hin und her.
Hat der Schäfer genug Hunde, besteht für ihn die Möglichkeit, während der Verdauungspause der
Schafe die arbeitenden Hunde zuhause gegen ein „frisches Paar“ auszutauschen, so dass der einzelne
Hund etwas Erholung bekommen kann. Hat der Schäfer aber nur einen, zwei oder drei Hunde, besteht
diese Möglichkeit nicht und die einzige Erholungsphase ist für den Hund die Zeit, während der die
Schafe verdauen.
Dies ist auch der Grund, warum ein Schäfer in der Regel mehrere Hunde hält: meist sind dies ein oder
zwei fertig ausgebildete Tiere, einen „Lehrling“ und ein oder zwei ältere Hunde, die sehr erfahren, aber
nicht mehr so belastbar sind.
Oft dauert der Arbeitstag eines Hundes bis spät abends, wenn die Schafe eingepfercht werden –
heutzutage meist in ein Elektronetz. Manchmal nimmt der Schäfer – falls er zuhause genügend Hunde
hat – am nächsten Tag zwei oder drei andere Hunde mit und die eingesetzten Arbeiter haben einen
Tag Ruhepause. Oft hat der Schäfer diese Möglichkeit jedoch nicht und Hund und Schäfer teilen sich
auch am darauffolgenden Tag den harten Arbeitsalltag, der mit „Schäferromantik“ wirklich wenig
gemein hat. Schafe hüten ist harte Arbeit, die die Hunde sehr ernst nehmen.
Dies sollte man bedenken, wenn man einem Herdengebrauchshund oder auch einen
Herdenschutzhund in seinem ursprünglichen Umfeld, zB während eines Urlaubs, einem Spaziergang
oder einer Wanderung, begegnet. Ein wirklicher Tierfreund nimmt seinen eigenen Hund an die Leine
und läuft langsam und in möglichst großem Abstand an der Schafherde vorbei, um diese einerseits
nicht zu beunruhigen und andererseits dem dazu gehörigen Hund zu zeigen, dass weder man selbst
noch sein Hund den Tieren etwas Böses möchte. Nicht nur Herdenschutzhunde sondern auch
Herdengebrauchshunde werden ihre Herde normalerweise verteidigen, und es wäre weder fair noch
klug, es darauf ankommen zu lassen, zumal trächtige Schafe, die erschrecken oder gehetzt werden, oft
ihre ungeborenen Lämmer verlieren.
Der Koppelgebrauchshund
Auch beim Koppelgebrauchshund beginnt die Ausbildung oft im Alter zwischen einem halben und
einem Jahr. Anders als beim Herdengebrauchshund wird der vierbeinige Lehrling meist nur für kurze
Übungssequenzen gezielt an einer kleinen Gruppe Schafe trainiert. Auch wenn der spätere
Einsatzbereich „Großvieh“, d.h. Rinder sein sollte, sollte der junge Hund zuerst an Schafen ausgebildet
werden, da hier die Ausbildung genauer und feiner erfolgen kann. Rinder sind sehr wehrhafte Tiere,
und es könnte bei einem jungen, ungeschickten Hund passieren, dass dieser angegriffen und verletzt
wird und so seine Motivation verliert. Auch einen Hund mit sehr guten Anlagen kann bei falscher oder
zu harter Ausbildung oder aber bei groben Fehlern in der Ausbildung derart verunsichert werden, dass
er als zukünftiger Arbeitshund unbrauchbar sein wird. Der junge Hund lernt an den Schafen zuerst die
wichtigsten Kommandos, wie das Laufen gegen den Uhrzeigersinn, das Laufen im Uhrzeigersinn, das
Nachtreiben, das Stoppen und das Einholen der Herde, den „Outrun“ sowie das „Halten“ der Herde oder
eines Schafes. Später, sehr viel später lernt er auch das Separieren und das Arbeiten eines Teils der
Herde sowie das Sammeln einzelner Tiere aus unübersichtlichem Gelände zu einer einzigen großen
Herde. Manchmal lernt er auch die Pfercharbeit sowie das „Back up“, das heißt das Laufen über den
Rücken der Schafe, um diese im engen Pferch vorwärts zu bewegen.
Auch beim Koppelgebrauchshund gilt wie schon beim Herdengebrauchshund: die Ausbildung dauert
in etwa so lange, wie der Hund Beine hat – für jedes Bein ein Jahr. Zwar ist der Hund auch vorher
schon einsatzfähig, fertig ausgebildet jedoch ersetzt ein Arbeitshund mehrere Menschen in einer
Schäferei und das dauert seine Zeit. Es gibt ein weiteres Sprichwort, dass dies verdeutlicht:
„Junger Hund: 1-4 Jahre,
guter Hund: 4-8 Jahre,
alter Hund: ab acht Jahre.“
Während Herdengebrauchshunde die Langstreckentraber unter den Hütehunden sind, ist die Arbeit in
einer Koppelschäferei für einen Hund nicht minder anstrengend: Herdentiere zu kontrollieren ist
physische und psychische Schwerstarbeit, und je weniger Tiere eine Herde aufweist, desto schwerer
ist es, sie zu kontrollieren. Baut ein Hund an einer Herde mit 1000 Schafen Druck auf, werden sie am
Druckpunkt zurückweichen. Baut ein Hund bei 20 Schafen denselben Druck auf, rennen die Schafe
davon. Ein Koppelgebrauchshund muss deshalb seinen Druck wesentlich feiner dosieren als ein
Herdengebrauchshund. Es ist eine Arbeit, bei der der Hund sehr vorsichtig vorgehen und auch sehr
feinjustiert eingesetzt werden muss. Dass diese Anstrengung einerseits sehr feinnervige Hunde
benötigt, andererseits aber auch Stress für die Hunde bedeutet, ist, denke ich, einleuchtend. Seit
Jahrhunderten werden deshalb viele Koppelgebrauchshunde zwischen den Arbeitseinsätzen in
möglichst ruhigen Ecken ihrer Heimatfarm untergebracht, die sehr abgelegen und reizarm sind, damit
die Hunde die Möglichkeit haben, abzuschalten und zu entspannen. Würden sie auch in ihrer
„Freizeit“ ständig Nutztiere sehen, wären sie ständig unter Hochspannung.
Der Hütehund in der „Moderne“
Lässt man das vorherige Kapitel Revue passieren, wird schnell auch dem Anfänger in der
Hundehaltung klar, dass Hütehunde sehr anspruchsvolle Hunde sind, die nicht die
„familienfreundlichen Anfängerhunde“ sind, als die sie oft angepriesen werden. Sie wurden durch
unsere Vorfahren nach deren Anforderungen gezüchtet und durch ihren früheren Einsatz geformt. Der
bellfreudige Australian Shepherd, der in einer Mietwohnung in der Stadt bei einem berufstätigen
Pärchen lebt, lebt gegen seine Natur und seine Instinkte, genauso, wie der Harzer Fuchs, der Strobel,
der Westerwälder Kuhhund oder der feinnervige Border Collie, der beim Hundesport gepusht wird und
hier einem Stresslevel ausgesetzt wird, das ihm schadet. Die meisten Hunde dieser Rassen sind so
feinnervlich und sensibel, dass man ihnen keinen Gefallen damit tut, sie körperlich auszulasten,
ihnen aber zu wenig Entspannungsmöglichkeiten bietet. Bei einigen Hunden kommt es im Laufe der
Zeit zu stressbedingten körperlichen Krankheiten, bei anderen zu einem „melt-down“, bei dem ihnen
buchstäblich die „Sicherungen durchbrennen“ und sie sich oder andere schädigen – sei es durch
Autos jagen oder beißen. Passiert dies, ist es leider heute noch oft so, dass versucht wird, durch falsche
und zu harte Erziehungsmaßnahmen dem Hund diese Dinge „abzugewöhnen“, was zum Scheitern
verurteilt ist, da hier völlig falsch angesetzt und oft zu hart reagiert wird. Hütehunde sind keine
einfachen Hunde und auch, wenn sie oft auf den Hundeplätzen anzutreffen sind, ist weniger oftmals
mehr, denn nicht umsonst werden sie oft als „Autisten unter den Hunden“ bezeichnet. Durch ihre
Geschichte und ihre ursprüngliche Verwendung sehr reizempfindlich und empfindsam, brauchen sie
Besitzer, die gewillt sind, sich mit ihren Bedürfnissen auseinanderzusetzen und sich nicht durch ihr
attraktives Äußeres oder ihre schnelle Auffassungsgabe blenden lassen.
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Carolyn Wilki (Samstag, 20 Januar 2024 04:34)
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Ich bin eine Schäferin und Hundetrainerin, die in den USA lebt. Seit über 30 Jahren treibe ich das Hüten und trainiere sie mithilfe positiver Verstärkungstrainingstechniken.
Carolyn@raspberryridgesheepfarm.com